DAS QUARTAL 4.2014 - page 22

DAS QUARTAL 4.14
22
Themen im Fokus
Krisenampel und Szenarioanalyse
als Frühwarnsystem für Anleger
Text: Philipp Dobbert (Chefvolkswirt der quirin bank)
D
ie von der quirin bank und der Futu-
reValue Group entwickelte Krisenam-
pel ist ein Frühwarnsystem, um negative
makroökonomische Auswirkungen auf die
Kapitalanlage frühzeitig zu erkennen und
rechtzeitig vermögenssichernde Maßnah-
men für Anleger zu ergreifen. Neu ist dabei
die Nutzung der wirtschaftshistorischen
Erkenntnis, dass die in den letzten Jahr-
hunderten zu beobachtenden schweren
Krisen auf eine überschaubare Anzahl von
„Standardkrisentypen“ zurückgeführt wer-
den können. Diffuse Drohkulissen lassen
sich so in klar abzugrenzende Einzelkrisen
systematisieren. Umeine Einschätzung über
das Drohpotenzial der einzelnen Krisen für
die Gesamtwirtschaft zu erhalten und die
Wechselwirkung der Krisentypen für die
Anlageentscheidung handhabbar zu ma-
chen, wird jedem Krisentyp im jeweiligen
Betrachtungszeitpunkt eine Ampelfarbe
zugeordnet. Dabei signalisiert „Rot“ eine
akute Krise, wogegen „Grün“ für eine aktuell
ungefährlich-krisenfreieSituationsteht. „Gelb“
signalisiert einemögliche drohendeKrise und
sollte in der Steuerung der Vermögensanlage
als Signal für erhöhte Alarmbereitschaft
und Vorbereitung auf eine bevorstehende
Krise verstanden werden. Anlegern kann
die Krisenampel dabei helfen, die Risiken
besser zu erkennen und gemeinsam mit
ihremHonorarberater geeignete Strategien
zur Bekämpfung möglicher Anlageverluste
zu entwickeln. Die quirin bank überarbeitet
und aktualisiert die Krisenampel im viertel-
jährlichen Rhythmus.
Die makroökonomische Krisenampel für
die Euro-Zone von quirin bank und Futu-
reValue Group für das vierte Quartal 2014
liefert für sechs von insgesamt zwölf
volkswirtschaftliche Krisentypen Warnsi-
gnale. Krisen, die auch für Anleger Gefah-
ren darstellen, schwelen demnach bei den
Themen Staatsschulden, Bankenbonität,
Preisentwicklung bei einzelnen Anlageklas-
sen, Deflation, aktuelle politische Konflikte
sowie der Beeinträchtigung des globalen
Handels durch politische Konflikte.
Fragile Konjunktur der Euro-Zone leidet
unter aktuellen politischen Konflikten
Vor allem der zwischenzeitlich stark es-
kalierte und nach wie vor nicht beigelegte
Konflikt zwischen Russland und der Uk-
raine sowie der neue Gewaltausbruch im
Nahen Osten stellen derzeit eine erhebli-
che Bedrohung für die weltwirtschaftliche
Entwicklung und damit auch für die Märk-
te dar. Nicht zuletzt die damit möglicher-
weise einhergehende Behinderung von
Transport- und Handelswegen oder eine
eingeschränkte Versorgungssicherheit
von Energie- und anderen Rohstoffen tra-
gen hierzu bei. Insbesondere die ohnehin
nach wie vor fragile Konjunktur der Euro-
Zone leidet unter dieser Entwicklung. So
stagnierte etwa die Wirtschaftsleistung in
Frankreich im zweiten Quartal; diejenige
von Italien fiel sogar im zweiten Quartal in
Folge – hier liegt damit bereits eine Rezes-
sion vor. Vor diesem Hintergrund treten die
öffentlichen Sparanstrengungen und Struk-
turreformen gegenüber einer schuldenfi-
nanzierten Konjunkturstimulierung eher
wieder in den Hintergrund. Dies dürfte das
europäische Staatsschuldenproblem ten-
denziell verschärfen.
Trend zu dauerhaft niedrigen Inflationsra-
ten belastet Währungsraum
Zu kämpfen hat der gemeinsame Wäh-
rungsraum vor allem auch mit einem
Trend zu dauerhaft niedrigen Inflationsra-
ten, der sich in den letzten Monaten zwar
nicht mehr deutlich verschärft, aber doch
merklich verfestigt hat. Nach wie vor do-
minieren die konjunkturelle Schwäche,
sinkende Rohstoffpreise und – bis zur
jüngsten deutlichen Abwertung – ein star-
ker Euro-Wechselkurs diese Entwicklung.
Auch wenn daher von einer sich selbst ver-
stärkenden Abwärtsspirale bei Preisniveau
und wirtschaftlicher Dynamik bisher kaum
auszugehen ist, bleiben die Risiken erhöht.
Hierzu trägt auch die noch immer mehr als
schleppende Kreditvergabe seitens der eu-
ropäischen Geschäftsbanken – insbeson-
dere in der Peripherie der Euro-Zone – bei,
was nicht zuletzt auch Ausdruck der noch
immer schwelenden Vertrauens- und Bo-
nitätskrise im europäischen Bankensektor
ist. Die Verstaatlichung der portugiesischen
Banco Espírito Santo vor einigen Wochen
unterstreicht diesen Problemkomplex ein-
drücklich.
Tendenzen zu Überbewertung und Bla-
senbildung bei Staatsanleihen höchster
Bonität, Wohnimmobilien und Aktien
Auch an den Kapitalmärkten wirkten sich
die genannten Krisenszenarien – beson-
ders die vielfach drastische Verschärfung
der kriegerischen Auseinandersetzun-
gen weltweit – zwischenzeitlich teilwei-
se deutlich negativ aus. Nicht zuletzt die
europäischen Aktienmärkte mussten von
Anfang Juli bis Mitte August teils erhebli-
che Verluste hinnehmen. In vielen anderen
Aktienmärkten der Welt – etwa auch dem
US-amerikanischen – fielen die Korrektu-
ren geringer aus und konnten inzwischen
mehr als wettgemacht werden. Treibender
Faktor dieser Entwicklung dürfte noch im-
mer die enorm expansive Liquiditätsbe-
reitstellung durch die Notenbanken sein,
die mit den jüngsten Maßnahmen der EZB
hierzulande zudem neuerlichen Auftrieb
erhalten hat. Das auf diese Weise künst-
lich niedrig gehaltene Zinsumfeld treibt die
reichlich vorhandene Liquidität nach wie
vor in einige Segmente der Anlagemärkte,
die eine auskömmliche, wenn auch nicht
risikoangemessene Rendite versprechen –
beispielsweise Aktien oder Immobilien –,
oder solche, die die unverändert hohen
Sicherheitsanforderungen vieler instituti-
oneller Anleger erfüllen, wie etwa Staats-
anleihen höchster Bonität. In einigen der
genannten Bereiche verfestigt sich somit
die Tendenz zu Überbewertung und Bla-
senbildung. Nicht zuletzt einzelne Segmen-
te des deutschen Wohnimmobilienmarktes
zählen zu diesem Kreis. Aber auch an den
Aktienmärkten nimmt die Gefahr von Über-
bewertungen angesichts teilweise steigen-
der Kurse bei gleichzeitig eher verhaltenen
Konjunktur- und damit Gewinnaussichten
für die notierten Unternehmen derzeit zu.
Ausgehend von der systematischen Über-
sicht, die die Krisenampel bezüglich mög-
licher makroökonomischer Drohpotenziale
erlaubt, lassen sich auch die Einschätzun-
gen hinsichtlich zu erwartender konjunktu-
reller und kapitalmarktmäßiger Entwicklun-
gen in der mittleren Frist plausibilisieren und
schärfen. Hierzu werden die alternativen
Konjunkturszenarien, deren Zuschnitt und
Wahrscheinlichkeitsbewertung sich aus der
1...,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21 23,24,25,26,27,28,29,30,31,32,...52