DAS QUARTAL 4.2014 - page 23

DAS QUARTAL 4.14
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Themen im Fokus
laufenden Beobachtung von konjunkturel-
ler Entwicklung und wirtschaftspolitischen
Entscheidungen ergeben, zusätzlich mit
dem Instrumentarium der Krisenampel va-
lidiert. Derzeit unterscheidet die quirin bank
vier volkswirtschaftliche Szenarien, deren
aktuelle Ausprägung und Wahrscheinlich-
keitsbewertung im Folgenden dargestellt
wird. Sie runden das Frühwarnsystem für
den Anleger ab und eröffnen mit dem Blick
auf mittelfristig mögliche Entwicklungen
zudem auch Anlageopportunitäten.
Was ist unter dem Szenario Stagflation zu
verstehen?
Mit einer Stagflation wird ein konjunk-
turelles Umfeld schwacher Wirtschafts-
wachstumsraten (deutlich unterhalb des
realen Potenzialwachstums des BIP, das in
Deutschland derzeit bei ca. 1,5 % liegt) bei
gleichzeitig erhöhten Inflationsraten von
über 2 % bezeichnet. Die für das wirtschaft-
lich eher schwache Umfeld zu hohe Inflati-
onsrate führt dabei tendenziell gleichzeitig
dazu, dass das reale Niveau des risikolosen
Zinses (also nach Abzug der Inflation) im
negativen Bereich liegt. Dieser Aspekt des
Szenarios wird auch als finanzielle Repres-
sion bezeichnet.
Wie sind die aktuellen Entwicklungen ein-
zuordnen?
Die Inflationsraten in Deutschland und Eu-
ropa haben sich zuletzt stabilisiert, wenn
auch auf äußerst niedrigem Niveau. So
stiegen die allgemeinen Verbraucherpreise
in Deutschland im August und September
(1. Schätzung) jeweils nur um 0,8 % gegen-
über dem Vorjahresmonat – das war der
niedrigste Wert seit Februar 2010. In der
Euro-Zone insgesamt lag die Inflations-
rate nach der letzten Vorabschätzung für
September mit gerade einmal 0,3 % noch
nicht einmal halb so hoch und damit auf
einem Niveau, das zuletzt im Rahmen der
merklichen konjunkturellen Rückschläge in
der Krise von 2008/2009 erreicht worden
war. Zwar liegt die Kerninflation – also die
Inflationsrate ohne die Berücksichtigung
der schwankungsanfälligen Preise für Ener-
gie und Nahrungsmittel – in Deutschland
für August merklich höher (1,3 %) und in
der Euro-Zone mehr als doppelt so hoch
(0,8 %). Ein wirklich kräftig inflatorisches
Umfeld zeichnet sich aber kurzfristig der-
zeit nicht ab. Hierzu trägt vor allem auch die
wieder deutlich schwächere gesamtwirt-
schaftliche Dynamik in der gesamten Euro-
Zone (einschl. Deutschland) bei. Trotz der
aktuell niedrigen Inflationsrate bleibt das
Szenario-Charakteristikum eines negativen
Realzinsumfelds allerdings auch weiterhin
erhalten. Deutsche Staatsanleihen notieren
(wieder) nahe ihrer Allzeithochs, die Ren-
diten liegen für nicht allzu lange Laufzei-
ten entsprechend nahe null – nach Abzug
der Inflationsraten ergibt sich ein (leicht)
negativer Realzins.
Auch wenn kurzfristig die Deflationsgefah-
ren dominieren, bleibt das Stagflationssze-
nario das aus Sicht der quirin bank wahr-
scheinlichste Szenario in der mittleren Frist.
Die weitere Entwicklung ist unverändert
aufmerksam zu verfolgen und zu bewerten.
Was ist unter dem Szenario Euro-Zone =
Japan zu verstehen?
Mit einem Japan- oder auch Deflationssze-
nario wird ein konjunkturelles Umfeld sehr
schwacher Wirtschaftswachstumsraten
(real im Wesentlichen stagnierendes BIP-
Wachstum) bei gleichzeitig sehr niedrigen
Inflationsraten von nahe 0 % oder sogar
darunter (Deflation) bezeichnet. Da sich
die wirtschaftliche Schwäche und das
tendenziell rückläufige Preisniveau ge-
genseitig verstärken, tendiert ein solches
Szenario relativ schnell dazu, sich trotz
wirtschaftspolitischer Gegenmaßnahmen
zu verfestigen.
Wie sind die aktuellen Entwicklungen ein-
zuordnen?
Die Deflationstendenzen in der Euro-Zone
haben sich zuletzt zwar stabilisiert, aber
nicht weiter verstärkt. Die Inflationsraten
bleiben auf niedrigem Niveau und deutlich
entfernt vom Ziel der Europäischen Zen-
tralbank von weniger als, aber nahe 2 %.
Insbesondere in der Euro-Zone insgesamt
liegt die Inflation – getrieben vor allem von
den wirtschaftlich noch immer schwächs-
ten Staaten in der Euro-Peripherie – auf
ausgesprochen niedrigem Niveau. Hierzu
trägt zuletzt vor allem die neuerliche kon-
junkturelle Schwäche gerade in diesen Mit-
gliedsländern bei. Besonders Italien kämpft
derzeit mit diesem Problem und befindet
sich bereits wieder in einer Rezession. Aber
auch bislang eher moderat betroffene Mit-
glieder wie beispielsweise Frankreich dro-
hen in den Abwärtssog gezogen zu werden.
Nicht einmal Deutschland kann sich – trotz
im europäischen Vergleich noch robusten
Wachstums – diesem Umfeld mehr ent-
ziehen. Noch schwächere konjunkturelle
Dynamik würde die Gefahr einer „Japan-
Spirale“ aus sinkender Inflation und zurück-
gehender Wirtschaftsleistung tendenziell
befördern. Entlastung kommt vorerst le-
diglich vom abwertenden Euro, der Importe
verteuert und dadurch die Inflation stützt.
Das Szenario Euro-Zone = Japan ist nach
wie vor ähnlich wahrscheinlich wie das
Bankszenario Stagflation. Die Inflationsra-
ten haben sich zuletzt allerdings auf nied-
rigem Niveau stabilisiert, was dazu führt,
dass an der Wahrscheinlichkeitsreihung
gegenüber dem Stagflations-Szenario kei-
ne Anpassung vorgenommen wurde. Bei
einem weiteren Inflationsrückgang wäre
dies erneut zu überprüfen.
Was ist unter dem Szenario Motor
Deutschland zu verstehen?
Unter dem Szenario Motor Deutschland ist
ein kräftiger konjunktureller Aufschwung
der deutschen Volkswirtschaft zu ver-
stehen. Die realen Wachstumsraten der
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