DAS QUARTAL 3.2016 - page 9

DAS QUARTAL 3.16
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Themen im Fokus
H
andarbeit steht für Qualität und Einzig-
artigkeit, aber sie kostet viel Zeit und
Mühe. TomBüttner, Inhaber des gleichnami-
gen Reitsportfachmarkts in Dresden, kann
davon ein Lied singen. Zum Fertigen eines
Sattels musste er früher den Pferderücken
mit Biegelinealen ausmessen und danach
aus Pappe eine dreidimensionale Wegwerf-
schablone als Vorlage formen.
Diesen Aufwand wollte er nicht länger ak-
zeptieren. Kaum hatte der Branchenver-
band 2008 ein einheitliches Pferderücken-
Messsystem festgelegt, entwickelte der
Sattlermeister mit zwei Partnerfirmen und
dem Bereich Biomechanik der TU Dresden
als Ersatz für Wegwerfschablonen einen
digital gesteuerten Pferderückenabbilder.
Die Form des Tiers wird per handlichem
3-D-Scanner erfasst, Büttners patentier-
tes Gerät – ein fein justierbares Metallge-
stell – kann sie anhand der Daten perfekt
reproduzieren. Auf dieser naturgetreuen
Nachbildung wird der zu bearbeitende
Sattel platziert. „Sattelbaum und Polster
lassen sich so individuell und optimal an-
passen“, erklärt der Firmenchef. Er muss
auch nicht mehr zum Ermitteln der Daten
anreisen, sondern lässt einen Scanner zum
Kunden schicken – sogar ins Ausland. Ein
Reitlehrer, Osteopath oder Reiter kann dann
dort selbst den Pferderücken ausmessen.
Inzwischen arbeitet Büttner bereits an Sen-
soren im Sattel, die signalisieren, dass eine
Einstellung oder Erneuerung nötig ist.
Mittelstand hat Nachholbedarf
Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, welche
Chance die Digitalisierung der Wirtschaft
quer durch alle Branchen und Betriebs-
größen eröffnet: Sie optimiert Prozesse,
ermöglicht das Erschließen neuer Kunden-
gruppen, erleichtert Kooperationen sowie
die Vernetzung von Mensch und Maschi-
ne, revolutioniert Geschäftsmodelle. Die
meisten deutschen Unternehmer sind sich
dessen zwar bewusst. „Dennoch gibt es vor
allem bei den kleineren und mittleren noch
Nachholbedarf – gerade in puncto Umset-
zung“, sagt Rahild Neuburger, Geschäfts-
führerin des „Münchner Kreises“, der als
unabhängige Plattform Orientierung in
der digitalen Transformation bietet. Diese
Aussage stützt eine repräsentative Studie
des Branchenverbands BITKOM: Demnach
meinen die meisten der 500 Befragten,
die Digitalisierung sei gleichauf mit dem
Fachkräftemangel die für sie derzeit größ-
te Herausforderung. Und jeder Dritte gibt
Probleme bei der Digitalisierung zu.
Die Gründe hierfür dürften so vielfältig sein
wie das Thema an sich. „Die Digitalisierung
durchdringt sämtliche Lebensbereiche“, so
Neuburger. Neue technische Möglichkei-
ten und die enge Vernetzung mit allem und
jedem veränderten die Gesellschaft, was
andere Kundenbedürfnisse erzeuge, etwa
in der Mobilität: „Die Menschen wollten heu-
te nicht mehr nur von A nach B, sondern
während der Fahrt über mobile Endgeräte
kommunizieren, sich informieren und Ge-
schäfte erledigen“. Einige Produkte sind nur
noch für kleine Zielgruppen interessant –
Fotoapparate etwa, weil jedes Smartphone
eine Kamera enthält. Und traditionelle
Berufsbilder stehen zur Diskussion – holt
beispielsweise der Zahnarzt den Zahn-
ersatz aus dem 3-D-Drucker, braucht er
keinen Zahntechniker mehr.
Adäquat auf solche Entwicklungen zu re-
agieren, erfordere individuelle, ganzheit-
liche Strategien und ein Umdenken, sagt
Neuburger: „Kernfrage ist, wie sich Kun-
denwünsche in einer digitalen Welt ändern
und Unternehmen ihre Geschäftsmodelle
anpassen müssen.“ Eine große Herausfor-
derung ist die Schnelligkeit. Anfangs unter-
stützte die IT nur Prozesse, jetzt werden
Prozesse selbst digitalisiert. Bald dürften
mit Werkstücken vernetzte Maschinen und
Roboter ihre Arbeit eigenständig erledigen
oder Autos autonom fahren. Der digitale
Wandel hetzt atemlos vorwärts. Wer eine
Idee hat, muss sie rasch zur Marktreife
bringen. „Sonst besteht die Gefahr, dass
sie schon wieder veraltet ist oder die Kon-
kurrenz schneller war“, warnt Neuburger.
Prozesse werden beschleunigt
In dieser beschleunigten Welt zählen digita-
le Prozesse und Technologien im Büro zum
Pflichtprogramm. Sattlermeister Büttner
etwa nutzt privat wie geschäftlich Instant
Messaging, speichert Daten in der Cloud,
hat die Finanzbuchführung digitalisiert.
Eine Mitarbeiterin gibt bei ihm Daten ins
Buchführungsprogramm ein, auf die der
Steuerberater ebenfalls zur Weiterverarbei-
tung zugreifen und Auswertungen zurück-
schicken kann. „So sind wir beide immer
auf dem aktuellsten Stand, und ich spare
mir eine eigene Buchhalterin“, meint der Fir-
menchef. Für Unternehmen wird es immer
wichtiger, mit Belegen in digitaler Form zu
arbeiten, da dies Abläufe und Entscheidun-
gen erheblich beschleunigt.
Aktuelle Daten sind Gold wert
Auch die Delo Industrie Klebstoffe GmbH
& Co. KGaA im bayerischen Windach nutzt
die Chancen der Digitalisierung, in der
Verwaltung wie für ihre Produkte. Maßge-
schneiderte Spezialklebstoffe des interna-
tional aufgestellten, schnell wachsenden
... welche Chance die Digitalisierung der Wirtschaft quer
durch alle Branchen und Betriebsgrößen eröffnet: Sie optimiert
Prozesse, ermöglicht das Erschließen neuer Kundengruppen,
erleichtert Kooperationen sowie die Vernetzung von
Mensch und Maschine, revolutioniert Geschäftsmodelle.
CHECKLISTE
Mit diesen Fragen stellen Sie Ihr Unternehmenskonzept auf den Prüfstand
Der technische Fortschritt zwingt Firmenchefs dazu, ihre Geschäftsmodelle zu über-
denken. Wer folgende Fragen ehrlich beantwortet, bestimmt seine aktuelle Position und
erhält wichtige Anregungen für die immer wieder aufs Neue erforderliche Diskussion
über die künftige Strategie.
• Inwiefern verändert die Digitalisierung die Bedürfnisse meiner Kunden?
• Wie muss ich meine Angebote anpassen, damit meine Kunden mir treu bleiben?
• Welche Services könnten meine Produktpalette sinnvoll ergänzen?
• Wie kann ich die Produktion digitalisieren, beispielsweise durch 3-D-Druck?
• Reicht meine Problemlösungskompetenz oder brauche ich Know-how oder Partner?
• Mit welchen (neuen) Anbietern konkurriere ich, wie kann ich mich von ihnen
abgrenzen?
• Wie kann ich dauerhaft zeitnah auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Kunden
reagieren?
• Wie schaffe ich die entsprechenden Strukturen und technischen Voraussetzungen
im Betrieb?
• Welche finanziellen Mittel muss ich wie einsetzen, um die Digitalisierung zu
meistern?
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