DAS QUARTAL 2.2020

DAS QUARTAL 2.20 19 Themen im Fokus Das EZB-Urteil des Bundesverfassungs- gerichts – ein Eigentor? Text: Prof. Dr. Stefan May D ie Europäische Zentralbank (EZB) kauft seit geraumer Zeit ingroßemStileStaats- undUnternehmensanleihen amKapitalmarkt auf. Dies sorgt für steigende Anleihekurse und drückt imGegenzug die entsprechenden Renditen und das allgemeine Zinsniveau nach unten. Auf diese Weise werden die Refinanzierungskosten der Staaten und Firmen gesenkt, was wiederum zu deren Stabilität beiträgt. Das Urteil des deutschen Bundesverfas- sungsgerichts, in dem die Anleihekäufe der EZB als zumindest teilweise verfassungs- widrig erklärt wurden, hat ein breites Spek- trum an Reaktionen hervorgerufen. Auf der einen Seite steht die Überzeugung, dass es in dem Urteil eigentlich nur um die Forderung geht, für jede EZB-Entscheidung eine vernünftige Begründung zu liefern. In einer solchen solle insbesondere dokumen- tiert werden, dass alle Nebenwirkungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wurden – Nebenwirkungen wie negative Sparzinsen und der entsprechenden Aus- wirkungen auf die Alterssicherungssys- teme sowie mögliche Immobilienblasen (durch extrem niedrige Zinsen entsteht eine sehr hohe Immobiliennachfrage). Auf diese Weise vorzugehen, sei ohne Probleme zu leisten und daher könne es mit den Anlei- hekäufen imWesentlichen weitergehen wie bisher. Diesen Eindruck erweckte zumin- dest der deutsche Bundesfinanzminister Olaf Scholz in diversen Interviews unmit- telbar nach dem Urteil. Am anderen Ende des Spektrums finden sich Einschätzungen wie die des ehemali- gen Bundesfinanzministers und aktuellen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäub- le, der im Urteil eine durchaus reale Gefahr für den Fortbestand des Euro sieht, was er wie folgt begründet: Mit dem Urteil sei zu- gleich ein Präzedenzfall dafür geschaffen, dass ein nationales Verfassungsgericht die Entscheidungen des Europäischen Ge- richtshofs grundsätzlich infrage stellt, der die Anleihekäufe nicht beanstandet hatte. Die meisten Beobachter sind sich allerdings darin einig, dass das Verfassungsgerichts- urteil eine Art Etappensieg für die zwar klei- ne, aber nicht verstummen wollende Frak- tion der grundsätzlichen Euro-Skeptiker ist. Diese sind der Überzeugung, dass die Europäische Zentralbank mit den massiven Anleihekäufen – die mittlerweile zu einer gewaltigen Aufblähung der Zentralbankbi- lanz geführt haben (vgl. Abbildung) – ihr eigentliches Mandat bereits seit Jahren überdehnt. Mit dem Verfassungsgerichts- urteil könne dieser Praxis nun endlich – so die Hoffnung – ein Riegel vorgeschoben werden. Im Gegensatz zur vorherrschenden Mei- nung sind wir allerdings der Auffassung, dass sich das EZB-Urteil – das aus den unterschiedlichsten Gründen immer größe- re Wellen schlägt! – für die Euro-Skeptiker letztendlich sogar als ein klassisches Ei- gentor erweisen wird. Im Extremfall könnte es sich sogar als eine Art Katalysator für genau den Zustand herausstellen, den die Kritiker eigentlich am heftigsten ablehnen – nämlich eine Vergemeinschaftung euro- päischer Schulden. Der Grund für diese Einschätzung ist der folgende: Spätestens seit Ausbruch der Fi- nanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 und der anschließenden Euro-Krise 2010/11 SPARZINSVERFALL IN DEUTSCHLAND reale Verzinsung von Einlagen privater Haushalte (Laufzeit bis 2 Jahre) in % Durchschnittliche Verzinsung von im Bestand gehaltenen Spar- oder Termineinlagen privater Haushalte abzüglich der jeweils aktuellen Inflationsrate, Daten auf Monatsbasis – Stand: 30.04.2020 Quellen: Deutsche Bundesbank, eigene Berechnungen und Darstellung Diese Zahlenangaben beziehen sich auf die Vergangenheit. Die frühere Entwicklung ist kein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse. IMMOBILIENPREISANSTIEG IN DEUTSCHLAND Häuserpreisindex (indexiert, 2015 = 100) Preisentwicklung für den Erwerb neu erstellter und bestehender Wohnimmobilien (Ein- und Zweifami- lienhäuser sowie Wohnungen in Mehrfamiliengebäuden), einschließlich Grundstück. Der Häuserpreis- index ist als Indikator zur Erfassung der Ausgaben für Wohnimmobilien im Sinne von Investitionsgütern konzipiert. Stand: 31.12.2019 Quellen: Statistisches Bundesamt (Destatis), eigene Darstellung Diese Zahlenangaben beziehen sich auf die Vergangenheit. Die frühere Entwicklung ist kein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse.

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