DAS QUARTAL 2.2020

DAS QUARTAL 2.20 18 Themen im Fokus Coronakrise – der Anfang vom Ende der Marktwirtschaft? Text: Prof. Dr. Stefan May D ie Corona-Pandemie produziert –neben den vielfältigen anderen gesellschaft- lichen Auswirkungen – in wirtschaftlicher Hinsicht vor allem eines: Unsicherheit. Kein Volkswirt kann vorhersehen, wie sich die Konjunktur in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird. Wie hoch wird die Arbeitslosigkeit steigen? Wie sehr wird die gesamtwirtschaftliche Aktivität zurückgehen? Schätzungen gibt es viele, Gewissheit keine. Kein Aktienanalyst kann vorhersehen, wie sich die Aktienmärkte oder auch nur einzelne Aktien in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln werden. Gewinnschätzungen? Entwicklung von Kosten und Produktion? Kaum absehbar. Umso schwieriger vorstellbar ist es, wie die Wirtschaft aus diesem Krisenmodus wie- der Schritt für Schritt herausfinden soll, was zu noch mehr Unsicherheit führt. Wenn wir noch nicht einmal den derzeitigen Weg hi- nein in den Krisenmodus kennen, wie soll denn dann eine Vorstellung vomWeg hinaus möglich sein? Wenn wir also noch nicht einmal wissen, wie schlimm es erst wer- den muss, bevor es wieder besser wird, wie soll sich denn diese zukünftige Besserung überhaupt einen Platz in unserer heutigen Gedankenwelt erkämpfen? Vielleicht liegt es auch daran, dass für viele derzeit der Schluss naheliegt, dass „das nichts mehr werden“ könne. De-Globalisierung, das Ende des Wachstums und eine tiefe und lang anhaltende konjunkturelle (und damit natürlich auch existenzielle gesellschaftli- che) Krise seien also unausweichlich – wo- möglich sogar der Untergang der Markt- wirtschaft. Ausgang? Ungewiss. So verständlich diese Befürchtungen auch sein mögen, sowenig sich derzeit noch er- ahnen lässt, wie die einzelnen Volkswirt- schaften und auch die Weltwirtschaft ins- gesamt in absehbarer Zeit wieder auf einen Wachstumspfad einschwenken sollen, so sehr unterschätzt diese Sichtweise ein ganz wesentliches, ja im Grunde DAS Charakte- ristikum unserer sozialen Marktwirtschaft: ihre kreative Anpassungsfähigkeit. Oft hat man imöffentlichenwirtschaftlichen Diskurs den Eindruck, das Wesen des Marktmecha- nismus bestehe darin, den derzeitigen Sta- tus quo fortzuschreiben, und Änderungen dieser Rahmenbedingungen würden den Markt dagegen maßlos überfordern. Eine der wichtigsten – wenn auch sehr grundlegenden – ökonomischen Erkennt- nisse ist allerdings Folgendes: Gerade in der Bewältigung von (aus Sicht einzelner Marktteilnehmer wie Ihnen oder mir) völlig unübersehbaren Anpassungs- und Ände- rungsprozessen einer ganzen Volkswirt- schaft oder sogar vieler Volkswirtschaften liegt das eigentliche Wesensmerkmal der marktwirtschaftlichen Ordnung. Und darin kommt auch gleichzeitig ihre ganze Wirk- macht und Überlegenheit zum Ausdruck. Schon jetzt zeigt sich diese innovative An- passungsfähigkeit auf kleiner Skala in vie- len Einzelfällen. Im Schwäbischen werden jetzt statt Polohemden Gesichtsmasken gefertigt, in Pariser Parfümfabriken riecht es inzwischen nach den en gros produzier- ten Desinfektionsmitteln und Mitarbeiter einer großen Fast-Food-Kette räumen die Regale bei Deutschlands führendem Dis- counter ein (und das sind nur die Fälle, die es zu medialer Aufmerksamkeit bringen). Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte die immensen wirtschaftlichen Herausfor- derungen (und von den anderen möglicher- weise noch größeren gesellschaftlichen spreche ich hier gar nicht) keinesfalls he­ runterspielen und verharmlosen. Wir haben es mit einer massiven ökonomischen Krise zu tun, deren Ausmaße wir noch gar nicht näherungsweise absehen können, aber deswegen den voreiligen und überzoge- nen Schluss zu ziehen, dass unser bishe- riger wirtschaftlicher Wohlstand in jedem Falle unwiederbringlich verloren ist, wird der Leistungsfähigkeit unserer marktwirt- schaftlichen Ordnung nicht gerecht. Wird die Welt die gleiche sein wie zuvor – selbst- verständlich nicht! Siewirdwie nach jeder tief- greifenden Krise der Vergangenheit natürlich (wie derzeit immer wieder zu lesen ist) auch ökonomisch eine andere sein. So zynisch das derzeit auch klingenmag, so sehr ist es genau gegenteilig gemeint: zumGlück! Trotz aller Ernsthaftigkeit der aktuellen Krise gibt es für einen Abgesang auf die soziale Marktwirtschaft keinerlei Anlass. Auch in der momentan fast ausweglos scheinenden Situation wird es – wie schon in der Vergangenheit – wieder die Anpas- sungsfähigkeit unserer marktwirtschaftli- chen Ordnung sein, die mittels der Koordi- nation unserer wirtschaftlichen Aktivitäten und mithilfe unserer Kreativität durch die sprichwörtliche „unsichtbare Hand“ Schritt für Schritt eine Bewältigungsstrategie fin - den wird. Dies wird über kurz oder lang auch wieder zu einer nachhaltigen Erholung der Kapitalmärkte führen. SO ENTWICKELTE SICH DIE DEUTSCHE KONJUNKTUR SEIT DEM JAHR 2000 Änderung des bruttoinlandsproduktes in % Quellen: Bloomberg, eigene Darstellung Stand: 31.12.2019 Datenpunkte auf Quartalbasis im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr Diese Zahlenangaben beziehen sich auf die Vergangenheit. Die frühere Konjunkturentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse.

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