DAS QUARTAL 2.2020

Scheinselbstständigkeit: hohes Risiko für Freiberufler Wer gut verdient, ist gern selbstständig. Nur die Rentenversicherung macht Proble­ me: Sie sieht Freiberufer und Kleinunternehmer oft in Scheinselbstständigkeit. Auftraggeber wollen dann Honorare zurück, da Angestellte weniger verdienen. Freiberufer brauchen anwaltlichen Rat. Text: Sigrun an der Heiden I hr Wissen ist gefragt, ihre Honorare sind üppig. Hoch qualifizierte Spezialisten, etwa IT-Experten und selbstständige Ingenieure, brauchen kaum staatlichen Schutz vor Ausbeutung. Von der Deutschen Rentenver- sicherung Bund (DRV) bekommen trotzdem viele dieser Freiberufler regelmäßig Schein- selbstständigkeit attestiert. Dasmacht sie zu FestangestelltenwiderWillen: 96 Prozent der IT-Expertenwollen unabhängig sein, sie sind mit ihrer wirtschaftlichen Lage sehr zufrie- den. Oft entscheidet die DRV zu Beginn der Existenzgründungauch für Kleinunternehmer auf Scheinselbstständigkeit.Wer unter 22.000 Euro Jahresumsatz erwirtschaftet, darf auf den Ausweis der Umsatzsteuer verzichten. Doch da er wenig verdient, riskiert er be- sonders, dass die Rentenversicherung ihm Scheinselbstständigkeit bescheinigt. Viele Betriebsprüfungen und jedes dritte Status- feststellungsverfahrenmachen Freiberufler zu abhängig Beschäftigten. Das Hauptrisiko tragendieAuftraggeber: DieNachzahlungvon vier Jahren Sozialversicherungsbeiträgen. Doch Scheinselbstständige müssen nun ebenfalls bluten: Unternehmen können von ihnen einen Teil des Honorars zurückfordern, da sie als Angestellte viel weniger verdient hätten. Betroffene brauchen dann den Rat eines Anwalts. Freiberuf­ler: Scheinselbstständigkeit trotz hohem Honorar Beim Stichwort Scheinselbstständigkeit denken viele an Paketboten, die zu Dum- pingpreisen zwölf Stunden und länger Pa- kete ausliefern. Die selbstständigen Boten arbeiten wie Festangestellte – nur länger und billiger. Die Sozialversicherungsbeiträ- ge sparen sich Auftraggeber ganz. Schließ- lich ist der Dienstleister selbstständig und fährt auf eigene Rechnung. Solche Fälle von Sozialversicherungsbetrug muss der Gesetzgeber bekämpfen. Viele gut verdie- nende Freiberufler geraten jedoch ebenfalls ins Visier der Rentenversicherung. Das Da- moklesschwert Scheinselbstständigkeit bedroht hoch qualifizierte Freiberufler be - sonders, wenn sie in Räumen des Auftrag- gebers an Projekten arbeiten. Sie führen ein neues IT-System ein, retten Daten, treiben Innovationen voran, schulen Mitarbeiter – und tragen kaum ein unternehmerisches Risiko. Denn sie verkaufen ihr Know-how, als Geschäftsausstattung reicht ein Note- book. Sind sie dann in Arbeitsabläufe des Auftraggebers eingebunden, unterstellt die Rentenversicherung trotz üppiger Honora- re schnell Scheinselbstständigkeit. Dabei sprechen gerade hohe Honorare für Selbst- ständigkeit, sagt das Bundessozialgericht. Auch Kleinunternehmer riskieren Schein- selbstständigkeit, wenn sie in der Existenz- gründungsphase wenig verdienen oder zu- nächst nur einen Auftraggeber haben. Keine verbindlichen Kriterien für Scheinselbstständigkeit Es fehlen verbindliche Kriterien, mit denen sich prüfen lässt, ob Scheinselbststän- digkeit vorliegt. Trotz Forderungen von Wirtschaftsverbänden und Politik geht es bei dem Thema nicht voran. Wegen möglicher Scheinselbstständigkeit wollen Kleinunternehmer und Freiberufler mehr Rechtssicherheit, ebenso die Auftraggeber. Die bietet beispielsweise eine Klärung bei der Clearingstelle der Rentenversicherung, aber eine Antwort kommt erst nach durch- schnittlich 85 Tagen. Oft ist die Zusam- menarbeit dann schon beendet. Abhängige Beschäftigung attestiert die Rentenversi- cherung also erst im Nachhinein. Trotzdem muss der Auftraggeber die ganzen Sozial- versicherungsbeiträge nachzahlen, wenn das Urteil für Freiberufler oder Kleinunter- nehmer auf Scheinselbstständigkeit lautet. Freiberufliche IT-Experten verlieren Aufträ- ge und fordern daher eine Überarbeitung des Statusfeststellungsverfahrens. 87 Pro- zent wollen die Einführung von Positivkrite- rien, die ihre Selbstständigkeit zweifelsfrei belegen. Tut der Gesetzgeber nichts, ent- scheiden in letzter Instanz die Gerichte, ob Scheinselbstständigkeit vorlag. Die Urteile fallen unterschiedlich aus – zum Teil wider- sprechen sie sich auch. Das verunsichert. 56 Prozent der IT-Spezialisten mussten deshalb schon wirtschaftliche Einbußen hinnehmen. Scheinselbstständigkeit ist ein Risiko für Kleinunternehmer Noch schwieriger als für Freiberufler ist es für Kleinunternehmer mit der Scheinselbst- ständigkeit. Weil sie wenig verdienen, ste- hen sie unter Generalverdacht. Oft stellen Betriebsprüfer der Rentenversicherung eine Scheinselbstständigkeit fest. Die Indizien: DAS QUARTAL 2.20 12 Themen im Fokus

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