DAS QUARTAL 3.2019

Das Arbeitszeitkonto – sinnvoll auch in kleinen Betrieben Ein Arbeitszeitkonto kann vielen Zwecken dienen, vom Erfassen der Gleitzeit bis zum Ausgleich von Winterarbeitslosigkeit – wenn es sorgfältig geplant wurde. Anwalt und Steuerberater müssen prüfen, ob Konzept und Umsetzung den gesetzlichen Vorgaben folgen. Text: Midia Nuri S tempeln klingt nach längst vergangenen Industrietagen. Nachvollziehbar, dass „Legal TribuneOnline“ kürzlichbesorgt fragte: „Kommt die Stechuhr für alle?“ Anlass war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Zeiterfassung. Damit verpflich- teten die Europarichter auch deutsche Firmenchefs mit Blick auf die europäische Arbeitszeitrichtlinie, die tägliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Für viele Unternehmen wäre das aber gar nichts Neues. Zumindest Überstunden sind schon nach deutschemArbeitszeitrecht generell zu erfassen. Zudem fordert das Mindestlohn- gesetz die Dokumentation von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit – es sei denn, der Beschäftigte verdient brutto über 2.958 Euro oder 2.000 Euro verstetigt im Schnitt. Es gibt also schon weitreichende Vorgaben zu diesem Thema. Vielleicht stellt sich also eigentlich eher die Frage: Warumnicht gleich ein Arbeitszeitkonto für jeden Mitarbeiter? Das Arbeitszeitkonto ist bei Mitarbeitern beliebt Die Vorteile liegen auf der Hand. Bei den zahlreichen Aufzeichnungspflichten sowie oft gewährten flexiblen Arbeitszeiten drängt sich ein Arbeitszeitkonto als Lösung auf, um geleistete Stunden zu dokumentieren. Jeder zweite Arbeitnehmer hat laut Insti- tut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schon eins. Seit 1999 stieg der Anteil der Beschäftigten mit einem Arbeitszeit- konto von 35 auf 56 Prozent. Jeder drit- te Betrieb bietet es seinen Mitarbeitern an – auch viele kleinere Unternehmen. In der Regel dient das Arbeitszeitkonto dem Ausgleich von Überstunden. Beschäftigte nutzen die Spielräume, um die Vereinbar- keit von Berufsleben und Privatleben zu verbessern, so die IAB-Studie. Minus- oder Überstunden müssen dabei in vier von zehn Unternehmen binnen eines halben oder eines ganzen Jahres ausgeglichen sein. Langzeitkonten finden sich eher selten. Ihr Anteil stagniert seit Jahren bei zwei Pro- zent. Dabei sind sie beliebt: 76 Prozent der Arbeitnehmer haben zugesagt, als der Chef ihnen ein Langzeitkonto anbot. Auch kleine Betriebe profitieren vom Arbeitszeitkonto Eröffnen Betriebe ihrenMitarbeitern dieMög- lichkeit, ein Arbeitszeitkonto zu führen, ziehen zwischen 85 und 92 Prozent der Beschäf- tigten mit. Der höchste Anteil findet sich laut IAB-Studie in Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten. Gerade bei diesen kleinen Betrieben bietet jedoch überhaupt nur jeder vierte ein Arbeitszeitkonto an. Hier verpassen viele Firmenchefs also die Chance, mit diesem Instrument die Flexibilität und Mitarbeiterzu- friedenheit zu steigern. Bei Unternehmen mit zehn bis 49 Beschäftigten gibt es immerhin in jedem zweiten auch Arbeitszeitkonten. Der Anteil steigt laut IAB-Betriebspanel 2018 auf 81 Prozent bei Betrieben mit über 250 Beschäftigten. Die größeren Unternehmen profitieren also besonders von den Vorteilen: höhere Flexibilität für den Arbeitgeber wie auch den Arbeitnehmer. Und größere Zufrie- denheit bei den Mitarbeitern dank mehr Zeit für Familie, Sabbatical, Weiterbildung oder auch Vorruhestand. Dafür nehmen sie gerne ein paar Nachteile in Kauf – hier nennt das Wirtschaftsmagazin „impulse“ ausUnterneh- mersicht vor allemden Verwaltungsaufwand. Sinnvoll bei Gleitzeit, Sabbatical und Saisongeschäft Das Arbeitszeitkonto ist kein Luxusthe- ma für Betriebe mit Gleitzeit, Sabbaticals und sonstigem vermeintlich modernen Schnickschnack. Es ist auch für Firmen- chefs in Branchen interessant, deren Pro- bleme abseits der Balance-Fragen liegen. So können Bauunternehmer mit Arbeits- zeitkonten etwa Probleme wie Winterar- beitslosigkeit für ihre Mitarbeiter besser auffangen. Die Sozialkasse Soka Bau weist auf diese Möglichkeit als Alternative zur winterbedingten Entlassung hin. Selbst für Minijobber sind Arbeitszeitkonten geeignet, betont die Minijobzentrale. Und sogar für Geschäftsführer – ihnen tut der struktu- rierte Ausgleich von Überstunden und der Abbau psychischer Überlastungen sicher ebenfalls gut. Aber Vorsicht: Legen Ge- schäftsführer für sich ein Arbeitszeitkonto zum Ausgleich an und bilden dafür Rück- stellungen, wittert der Fiskus schnell eine verdeckte Gewinnausschüttung. Zurecht, wie der Bundesfinanzhof (BFH) bereits ur- teilte. Hier ist deshalb mit dem Steuerbera- ter zu klären, wie man am besten verfährt. Vor dem Arbeitszeitkonto kommt die Überstundenfrage Schon mit Blick auf ihre Aufzeichnungs- pflichten sollten Unternehmer klar festle- gen, was als Überstunde gilt und wie die Anordnung erfolgt. Mit Anwalt und Steu- erberater sind hierzu vertragliche sowie steuerliche Fragen zu klären. Vor allem müssen klare und eindeutige Vorgaben im Arbeitsvertrag stehen. Nur so lassen sich Arbeitsstunden später rechtssicher notie- ren – egal ob auf einem Stundenzettel oder per App. Das hilft Unternehmern auch, Aus- einandersetzungen um nicht entgoltene Stunden und deren Aufzeichnung zu ver- meiden, etwa nach einer Kündigung. Beim Steuerberater sollten Unternehmer zudem Abrechnungsfragen klären – insbesonde- re, wenn Stunden in Folgejahre geschoben werden können oder Minusstunden auflau- fen. Unabhängig vom Arbeitszeitkonto wirft Arbeitszeit also schon genug steuerliche und rechtliche Fragen auf. Das Langfrist-Arbeitszeitkonto muss insolvenzfest sein Besonders wichtig: Mitarbeiter können ih- rem Arbeitgeber per Arbeitszeitkonto nicht einfach Plusstunden aufdrücken. Und bei einem langfristig angelegten Arbeitszeit- konto sollten Unternehmer unbedingt mit Anwalt und Steuerberater klären, wie sie ihre finanziellen Pflichten gewährleisten. Das gilt auch für den Fall eines Arbeitgeber- wechsels oder einer möglichen Insolvenz. Im Insolvenzfall gewährt das Insolvenzgeld lediglich Ersatz für Lohnansprüche der ver- gangenen drei Monate. Das vierte Sozial- gesetzbuch verpflichtet Arbeitgeber daher, darüber hinausgehende Zeitguthaben ihrer Mitarbeiter auf Arbeitszeitkonten gegen Insolvenz abzusichern und insolvenzfeste Rücklagen dafür zu bilden. Zur Absicherung verpflichtet sind Arbeitgeber spätestens DAS QUARTAL 3.19 24 THEMEN IM FOKUS

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