DAS QUARTAL 3.2015 - page 12

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ürWolfgangHeimgehtderStreitübereine
politisch vorgegebene Lohnuntergrenze
anderRealität inseinemUnternehmenvorbei.
„Die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns
interessiert uns nicht“, so der Prokurist der
KA Metallbau GmbH in Bamberg. „Bei uns
gibt es sogar mehr als den Branchenmin-
destlohn.“ Der 35-Mann-Betrieb plant und
errichtet Stahl- undAluminiumbauten, Hallen,
Treppen sowie Überdachungen und sorgt
für den Brandschutz amBau. Mal bindet die
Baufirma als Generalunternehmer andere
Betriebe ein, umProjekte zu stemmen, mal
wird sie selbst als Subunternehmer tätig.
Ärger über massive Bürokratie
Umso mehr ärgert Heim, dass der Mindest-
lohn selbst gut zahlenden Firmen mehr Bü-
rokratie aufzwingt: „Ich bin gesetzlich ver-
pflichtet, zu kontrollieren, und hafte dafür,
dass meine Subunternehmer ihren
Mitarbeitern den Mindestlohn
zahlen und pünktlich über-
weisen.“ Zwar lässt
sich der Prokurist
schriftlich
be-
stätigen, dass
seine Ge-
schäfts-
partner
d e n
Bran-
chenmindestlohn zahlen: „Ob sie das tun,
kann ich aber nicht kontrollieren, denn ich
habe keine Einsicht in Lohn- und Gehaltsun-
terlagen.“ Um das Risiko zu minimieren, ver-
langt er von Subunternehmern eine Auflis-
tung der Arbeitszeiten. Die gleiche Auflage
bekommt er von Auftraggebern: „Ich muss
alle Arbeitsstunden – vomWerkstattmitar-
beiter bis hin zur Sekretärin – aufschreiben
und den Projekten zuordnen.“ Derzeit ist
eine Kraft damit ausgelastet, auftragsbezo-
gen Arbeitszeiten zu erfassen. „Ein Irrsinn“,
schimpft Heim.
Trotz des Aufwands kommt das Bauunter-
nehmen nicht aus der Haftungsfalle. Jedes
Unternehmen, das eine eigene vertragliche
Verpflichtung an einen Auftragnehmer wei-
terreicht, steht dafür gerade, dass dieser
den Mindestlohn zahlt. Tut er es nicht, kön-
nen betroffene Mitarbeiter auch den Gene-
ralunternehmer auf Zahlung verklagen, so
steht es im Arbeitnehmerentsendegesetz,
auf das sich das Mindestlohngesetz (Mi-
LoG) bezieht. Bei Verstößen drohen den
Betrieben hohe Strafen: „Wer einen Subun-
ternehmer – auch aus dem europäischen
Ausland – einsetzt und weiß oder fahrläs-
sig nicht weiß, dass dieser den Mindestlohn
nicht oder nicht rechtzeitig zahlt, muss mit
einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro
rechnen“, betont Claudia Frank, Präsiden-
tin des Verbands Freier Berufe Berlin. „Zu-
dem droht der Ausschluss von öffentlichen
Aufträgen.“ Der Generalunternehmer haftet
selbst dann, wenn ein Subunternehmer den
Auftrag seinerseits fremdvergibt.
Die Umsetzung des MiLoG bereitet den
Betrieben große Probleme. Vieles ist nicht
klar geregelt und lässt sich unterschiedlich
auslegen. Das merken gerade Steuerbera-
ter als erster Ansprechpartner in Sachen
Lohn- und Gehaltsabrechnung. „Wir brau-
chen im Bereich Lohnsteuer und Sozialver-
sicherung verlässliche Grundlagen“, sagt
Detlef Loczenski, Vizepräsident der Steuer-
beraterkammer Berlin. So war etwa lange
unklar, ob monatsgenau auf Stundenlohn-
basis abgerechnet werden muss oder (bei
der 40-Stunden-Woche) der Durchschnitts-
wert von 173,3 Stunden im Monat zugrun-
de gelegt werden darf – dies entspricht
einem Bruttomindestlohn von 1.473 Euro.
Wer den Betrag zahlt, könnte trotzdem ge-
gen das Gesetz verstoßen, weil in Monaten
mit vielen Werktagen die Mindestvergütung
höher ausfallen müsste (23 Arbeitstage x 8
Stunden x 8,50 Euro = 1.564 Euro). Erst auf
wiederholte Nachfrage von Experten stell-
te das Bundesarbeitsministerium klar: 1.473
Euro monatlich entsprechen dem Mindest-
lohn, falls der Mitarbeiter das ganze Jahr
im Betrieb tätig ist. Scheidet er vorzeitig
aus, sind monatsgenau alle Stunden ab-
zurechnen und gegebenenfalls Lohn und
Sozialabgaben nachzuzahlen. Viele Steuer-
berater stecken in dem Dilemma, dass sie
keine Rechtsberatung leisten dürfen, das
MiLoG aber wichtige arbeits- und sozialver-
sicherungsrechtliche Fragen offenlässt. „Die
Mandanten erwarten schnelle Antworten
und haben wenig Verständnis, wenn wir sie
zu einem Anwalt für Arbeitsrecht schicken“,
sagt Loczenski. Mit Blick auf hohe Bußgel-
der von bis zu 30.000 Euro rät er Unter-
nehmern, die Aufzeichnungspflichten über
die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter ernst zu
nehmen.
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des
Zolls prüft, ob der Mindestlohn gezahlt
wird. Sie kennt alle Tricks, ihn zu unterlau-
fen, von unbezahlten Überstunden über die
Beschäftigung vorher fest Angestellter als
Scheinselbstständige bis zu Teilzeitjobs,
die in Wirklichkeit Vollzeitstellen sind. Be-
ginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeits-
zeit festhalten muss jeder, bei demMinijob-
ber oder kurzfristig Beschäftigte tätig sind.
Außerdem gilt dies für alle, die zu einer der
im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ge-
nannten Branchen gehören, also etwa Bau,
Gebäudereinigung, Hotel- und Gaststätten
sowie Speditionen. Die Aufzeichnungs-
pflicht gilt für Beschäftigte mit weniger
als 2.958 Euro brutto im Monat und trifft
Gehaltsgruppen, die klar über demMindest-
lohn liegen. Laut Bundesarbeitsministerin
Andrea Nahles reichen handschriftlich aus-
gefüllte Stundenzettel. Auch Schichtpläne
will sie als Nachweis akzeptieren, sofern
Änderungen dokumentiert werden.
Mindestlohn:
massiver Umbau erforderlich
Haftungsrisiken für Unternehmer, hoher Verwaltungsaufwand, zahllose offene
Fragen: Firmenchefs schimpfen über das Mindestlohngesetz, Steuerberater
verlangen Rechtssicherheit vom Gesetzgeber. Das Bürokratiemonster
sollte schnell gebändigt werden.
Text: Franka Bräuchle
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