Seite 35 - DAS QUARTAL 4.2012

THEMEN IM FOKUS
DAS QUARTAL 4.12
35
pflichten „insbesondere kleine und mittlere
Unternehmen erheblich belasten“, bemän-
gelt unter anderem Wilfried Hollmann, Prä-
sident des Mittelstandsverbunds in Berlin.
Er nennt als Beispiele unter anderem die
Versender von Auto- oder sonstigen kleine-
ren Ersatzteilen sowie von Büchern, Klei-
dung oder von Elektronikzubehör.
Gerade Mittelständler müssten mit deut-
lichem Mehraufwand und hohen Kosten
kämpfen und hätten keine personellen oder
finanziellen Kapazitäten, um bei Abnehmern
im EU-Ausland die Unterzeichnung der Ge-
langensbestätigung durchzusetzen. „Damit
ist für die Firmen die Steuerfreiheit ihrer Ex-
porte bedroht“, fürchtet Hollmann. Indus-
trie- und Handelskammern machten Druck
mit dem Umfrageergebnis, bis zu 20 Prozent
der betroffenen Unternehmen könnten we-
gen der Neuerung einen Teil ihres Vertriebs
ins europäische Ausland verlagern.
Für Technoplast gäbe es durch die Gelan-
gensbestätigung bei jeder zehnten Lieferung
zusätzlichen Aufwand: Im Schnitt sind das
täglich 35 Bestellvorgänge. Die derzeitige
Änderung der Verordnung betrifft ausge-
rechnet das aufwendige Geschäft mit Klein-
bestellungen, die über den Online-Shop he-
reinkommen – vor allem von kleinen
Werkstätten und anderen Verarbeitern in
Österreich und den übrigen Nachbarstaaten.
Dieser Vertriebsweg würde zum Problem,
denn über den Online-Shop werden oft Arti-
kel aus dem Niedrigpreissektor verkauft. Ve-
ronika von Treskow zeigt eine Rechnung vom
Vortag über einen Kunststoffstab für 17,95
Euro. „Abzüglich zehn Prozent Neukunden-
rabatt, plus Versandkostenpauschale“, sagt
sie. „Bei solchen Preisen würde der Verkauf
durch den zusätzlichen bürokratischen Auf-
wand unwirtschaftlich.“
Übergangsweise kann auf die Gelangensbe-
stätigung verzichtet werden. Wenn die ge-
plante Neuregelung jedoch nicht noch durch
in Aussicht gestellte Alternativen ergänzt
wird, könnte sie das Aus für viele kleinere
Lieferungen aus Deutschland in andere EU-
Staaten bedeuten.
Keine echte Verbesserung.
Um das Verfah-
ren zu vereinfachen, trat bereits zum Jahres-
beginn die Änderung der Umsatzsteuer-
Durchführungsverordnung (UStDV) in Kraft.
Sie sieht vor, dass die Rechnungskopie sowie
die neue, für alle erdenklichen Liefervarian-
ten einheitlich gestaltete Gelangensbestäti-
gung in Zukunft die bisherigen Nachweise
ersetzen. So sollen Unternehmer für alle
Liefervarianten standardisiert nachweisen
können, dass der von ihnen verkaufte Ge-
genstand, für den sie die Umsatzsteuerfrei-
heit beanspruchen, auch tatsächlich in
einem EU-Mitgliedstaat angekommen ist.
Der Außenhandel erhalte dadurch eine „ein-
fachere und eindeutige Nachweisregelung“,
versprach der Entwurf der Verordnung von
Oktober 2011.
Doch was sich so schlicht und schlau an-
hört, ist für exportierende Unternehmen in
der Praxis kaum zu leisten. Wie sollen sie
zum Beispiel kontrollieren, ob wirklich eine
befugte Person die Gelangensbestätigung
unterzeichnet? Und wie können sie sicher-
stellen, dass der Kunde das ihm unbekannte
Formular nach der Lieferung zeitnah aus-
füllt – zumal vermutlich viele Abnehmer die
vorgeschriebenen Sprachen Deutsch, Eng-
lisch oder Französisch gar nicht beherrschen?
Hoher Bürokratieaufwand.
Verschiedene
Wirtschaftsverbände sowie Kammerorgani-
sationen protestierten gegen die Neurege-
lung. In dieser Form würden die Nachweis-
Um Steuerfreiheit zu erlangen, bleibt es daher
in einer Übergangsphase bei der alten Rege-
lung. Liefert ein deutscher Unternehmer eine
Ware in ein anderes EU-Land, muss er nach-
weisen, dass sie ins Gemeinschaftsgebiet be-
fördert wurde. Er hat dann auf den Warenwert
keine Umsatzsteuer ans Finanzamt zu zahlen.
V
eronika von Treskow will ihre Empö-
rung nicht verbergen. „Es ist unglaub-
lich, dass wirtschaftsferne Experten
eine so weitreichende und für Unternehmen
belastende Regelung planen“, schimpft die
Prokuristin der Technoplast v. Treskow
GmbH, einer Vertriebsgesellschaft für tech-
nische Kunststoffe in Lahnstein bei Koblenz.
Schon als sie zum ersten Mal von dem Vor-
haben hörte, war ihr klar: Die Novellierung
der Nachweispflichten für die steuerfreie in-
nergemeinschaftliche Lieferung bedeutet
für ihren Betrieb einen enormen Zusatzauf-
wand. „Wir müssten jeden unserer Kunden
in den EU-Staaten einzeln bitten, den Erhalt
einer Lieferung auf dem vorgeschriebenen
Formular zu quittieren“, fürchtet von Tre-
skow. „Wie soll das denn gehen?“ Telefonie-
ren. Briefe schreiben. Jeder Lieferung
Briefumschläge mit Rückporto beilegen. Es
dürfte viel Zeit und Geld kosten, wenn Expor-
teure künftig die von der Bundesregierung
geplante sogenannte Gelangensbestätigung
vorlegen müssen, damit eine Lieferung ins
EU-Ausland steuerfrei bleibt.
Komplizierter Nachweis.
Mit diesem ein-
heitlichen Vordruck soll der grenzüber-
schreitende Umsatzsteuerbetrug einge-
dämmt werden. Doch quer durch alle
Branchen laufen die Wirtschaftsverbände
dagegen Sturm. Das Bundesfinanzministeri-
um hat daher ein Schreiben, das die Neure-
gelung paxisnäher gestalten soll, bereits
zum zweiten Mal verschoben. Nun soll eine
weitere Änderung der Durchführungsverord-
nung Abhilfe schaffen. Wann und in welcher
Form, ist noch offen.
Um Steuerfreiheit zu erlangen, bleibt es da-
her in einer Übergangsphase bei der alten
Regelung. Liefert ein deutscher Unterneh-
mer eine Ware in ein anderes EU-Land,
muss er nachweisen, dass sie ins Gemein-
schaftsgebiet befördert wurde. Er hat dann
auf den Warenwert keine Umsatzsteuer ans
Finanzamt zu zahlen. Welchen Nachweis er
dafür erbringen muss, richtet sich bisher
danach, ob das Unternehmen selbst, ein von
ihm oder dem Abnehmer beauftragter Liefe-
rant oder der Abnehmer selbst den Gegen-
stand befördert. Je nach Konstellation kann
dieser Nachweis kompliziert werden.
Nach dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 1.6.2012 wird es derzeit noch
nicht beanstandet, wenn ein Unternehmer die Nachweise für innergemeinschaftliche Lie-
ferungen auf Basis der alten Rechtslage erbringt. Dies gilt allerdings nur so lange, bis die
geplante Neuregelung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung in Kraft tritt. Unter-
nehmer sollten deshalb auf jeden Fall Kontakt zu ihrem Steuerberater halten, der sie über
die anzuwendenden Vorschriften auf dem Laufenden hält und ihnen auch sagen kann, wie
die Nachweise im konkreten Fall zu erbringen sind.
Immer an die geltenden Regelungen denken
Ihr Steuerberater hält Sie über mögliche Änderungen der Richtlinien auf dem Laufenden