Seite 22 - DAS QUARTAL 3.2012

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THEMEN IM FOKUS
DAS QUARTAL 3.12
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schätzungen, wonach höhere Inflationsraten
drohen – liegt in dem Umstand begründet,
dass die geschaffene zusätzliche Liquidität
zuallererst nur innerhalb des Bankensek-
tors genutzt wird.
Es ist diese Verwendung des Zentralbank-
gelds als Instrument zur Bilanzsanierung
und als Ersatz für die sonst zwischen den
Geschäftsbanken bereitgestellte Liquidität,
die eine kräftig inflationäre Wirkung der ex-
pansiven Geldpolitik bislang verhindert hat.
Die Gelder kommen schlicht nicht in der Re-
alwirtschaft an (zum Beispiel durch eine er-
höhte Kreditvergabe an Unternehmen). Blie-
be es dabei, so drohte in keinem Fall eine
Inflation: Das Geld würde vollständig im
Bankensektor versickern und von den Zen-
tralbanken dann wieder eingezogen, wenn
es nicht mehr benötigt wird. Die Fähigkeit
einer Zentralbank, für Preisniveaustabilität,
also die Abwesenheit von Inflation, zu sor-
gen, liegt aber weniger in der akkuraten und
terminsicheren Steuerung der jeweiligen
Geldmenge, sondern vielmehr darin, bei
Konsumenten und Unternehmen die felsen-
feste Überzeugung zu verankern, dass sie
keine Inflation zulassen wird. Misslingt Letz-
teres, kann Ersteres noch so treffsicher voll-
zogen werden – private Haushalte und Un-
ternehmen werden mit einer Inflation
rechnen. Wenn diese dann beginnen, die Er-
wartungen in Lohnverhandlungen und un-
ternehmerischen Planungen zu berücksich-
tigen, kann sich eine sogenannte
Lohn-Preis-Spirale entwickeln (steigende
Löhne motivieren z. B. die Arbeit gebenden
Unternehmen zu Preiserhöhungen, um die
Lohnerhöhungen zu kompensieren), die sich
immer weiter in die Höhe schraubt.
Verstärkt werden kann diese Entwicklung
zudem durch drei weitere Faktoren. Erstens
besteht zumindest die Möglichkeit, dass im
entscheidenden Moment auch die Steue-
rungsfähigkeit der Zentralbanken mit Blick
auf die Geldmengen versagt und das ge-
schaffene Geld doch in den Gütermarkt-
kreislauf gelangt. Zweitens könnten die No-
tenbanken geneigt sein, einen solchen
Trend, obwohl sie ihn erkennen, zuzulassen,
da er das Problem der überbordenden
geblähte Zentralbankgeldmenge schließlich
dafür, dass der Geldkreislauf und damit
letztlich auch der gesamte Wirtschaftskreis-
lauf nicht zusammenbrechen. Die außerge-
wöhnlichen Maßnahmen der Zentralbanken
sind insofern durchaus begründbar.
Allerdings bergen sie auch erhebliche Ge-
fahren. Die großen Notenbanken der USA,
der Euro-Zone und Großbritanniens haben in
den letzten dreieinhalb Jahren ihre Bilanz-
summen jeweils vervierfacht. Das bedeutet
grob, dass sowohl die US-Dollar-Geldmenge
als auch die Geldmengen in Britischen
Pfund und in Euro Mitte 2012 jeweils etwa
viermal so groß sind wie noch vor Ausbruch
der Krise. Das geschaffene Geld wird dabei
den Geschäftsbanken zwar auf elektro-
nischem Wege zur Verfügung gestellt. Auch
ohne das buchstäbliche Anwerfen der No-
tenpressen wird hierdurch aber letztlich
Geld gedruckt. Die Folgen sind hinlänglich
bekannt: Wenn die Fed in den USA direkt US-
Staatsanleihen aufkauft oder die EZB euro-
päische Staatsanleihen als Sicherheiten für
Bargeldzufuhr an europäische Banken ak-
zeptiert, schaffen sie damit faktisch neue
Gelder, mit denen neue Staatsschulden fi-
nanziert werden können. Daraus resultieren
inflatorische Tendenzen.
Im letzten Jahr war von einem Inflations-
druck in der Presse und der Fachöffentlich-
keit bis auf Einzelmeinungen nicht viel zu
lesen. Und auch die zu verzeichnenden offi-
ziellen Inflationsraten selbst gaben keinen
Anhaltspunkt für ein beginnendes inflatio-
näres Umfeld. Der Grund für die verzögerte
Dynamik – mittlerweile häufen sich Ein-
N
ach wie vor sehen wir ein stagflatio-
näres gesamtwirtschaftliches Umfeld
als das wahrscheinlichste Szenario
auf mittlere Sicht. Hierzu gehört neben
einem schwachen realen Wirtschaftswachs-
tum auch eine deutlich erhöhte Inflationsra-
te. Vor dem Hintergrund der über die letzten
beiden Jahrzehnte statistisch gesehen weit-
gehend stabilen Konsumentenpreise – aus-
gedrückt in Inflationsraten nahe und meist
unter 2 % – ist eine solche Entwicklung zu-
nächst allerdings nur schwer vorstellbar.
Aus welchem Grund soll sich aktuell ein hö-
herer Inflationsdruck ergeben als in den zu-
rückliegenden Jahren?
Zunächst ist hierzu festzuhalten: Auch in
den Zeiten weitgehend stabiler Konsu-
mentenpreise gab es inflationäre Vorgänge,
nur eben nicht auf den für die Konsumenten
primär relevanten Gütermärkten. Stattdes-
sen gab es teils extreme Preisauftriebe an
verschiedenen Vermögensmärkten, etwa bei
Immobilien in den USA, Irland oder Spanien.
Bereits diese Betrachtung relativiert den
Eindruck eines über mehr als 15 Jahre weit-
gehend stabilen Preisniveaus in den führen-
den Industrieländern. Darüber hinaus wird
sich der an den Gütermärkten in der Vergan-
genheit zu beobachtende Trend zu nied-
rigem allgemeinen Preisauftrieb zukünftig
aus verschiedenen Gründen zurückbilden
und in einen inflationären Trend umschla-
gen. Mittelfristig muss sich also auch der
private Anleger auf höhere Inflationsraten
einstellen und diese bei der Kapitalanlage
berücksichtigen.
Notenbanken entfesseln Inflationsdruck.
Als Reaktion auf die Bankenkrise – und spä-
ter auch auf die Wirtschafts- und Euro-Krise
– haben die Notenbanken seit 2008 die Geld-
mengen weltweit extrem ausgedehnt. Die
zusätzlich zur Verfügung gestellte Liquidität
soll einerseits den Großbanken helfen, ihre
problematischen Bilanzen zu sanieren, und
andererseits auch den realen Wirtschafts-
kreislauf auf den Gütermärkten stimulieren.
Als Ersatz für die Liquidität, die sich die Ge-
schäftsbanken untereinander in normalen
Zeiten zur Verfügung stellen, sorgt die auf-
Der Trend zur Inflation
Marktkommentar der quirin bank AG / 3. Quartal 2012
Text:
Philipp Dobbert
(Volkswirtschaft) • quirin bank AG
BILANZSUMMEN DER WICHTIGSTEN
ZENTRALBANKEN (INDEXIERT)
Quellen: Europäische Zentralbank, Federal Reser-
ve Board, Bank of England, eigene Berechnungen,
eigene Darstellung