Seite 16 - DAS QUARTAL 3.2012

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Arbeitsrecht: Zeugnissprache
Die Zeugnissprache ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein gleichermaßen schwieriges Thema. Der Bundesgerichtshof
hatte in einem Urteil mit herausragender Bedeutung vom 26. November 1963 entschieden, dass der Arbeitgeber aufgrund
seiner „auch über das Ende des Dienstverhältnisses hinausweisenden sozialen Mitverantwortung“ verpflichtet sei,
das Zeugnis nicht nur der Wahrheit entsprechend, sondern auch mit verständigem Wohlwollen abzufassen.
Verboten sind so z. B. die Nichterwähnung wesentlicher Punkte („beredtes Schweigen“). Die Folge ist, dass Arbeitgeber
häufig sogenannte „Geheimcodes“ verwenden. Arbeitnehmer hingegen sehen in vielen Formulierungen – teils begründet,
teils unbegründet – einen Fallstrick.
THEMEN IM FOKUS
DAS QUARTAL 3.12
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„Wir haben den Kläger als sehr interessier-
ten und hochmotivierten Mitarbeiter kennen
gelernt, der stets eine sehr hohe Einsatzbe-
reitschaft zeigte. Der Kläger war jederzeit
bereit, sich über die normale Arbeitszeit hi-
naus für die Belange des Unternehmens
einzusetzen. Er erledigte seine Aufgaben
stets zu unserer vollen Zufriedenheit.“ Der
Kläger wendete sich gegen die Formulie-
rung „kennen gelernt“. Er hat die Auffas-
sung vertreten, diese Formulierung werde in
der Berufswelt überwiegend negativ ver-
standen. Damit bringe der Arbeitgeber ver-
schlüsselt zum Ausdruck, dass gerade das
Gegenteil der jeweiligen Aussage zutreffe.
Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch
gegen den Kläger, dass die im Zeugnis der
Beklagten enthaltene Formulierung, „als
sehr interessierten und hochmotivierten
Mitarbeiter kennen gelernt“ aus Sicht des
objektiven Empfängerhorizonts nicht den
Eindruck erweckt die Beklagte attes-
tiere dem Kläger in Wahrheit
Desinteresse und fehlende Mo-
tivation. Die Klage wurde mit-
hin abgewiesen.
Fazit.
Es ist Arbeitgebern
untersagt, Zeugnisse mit
Merkmalen zu versehen,
welche den Zweck haben,
den Arbeitnehmer in einer
aus dem Wortlaut nicht
ersichtlichen Weise
zu kennzeichnen.
Dennoch werden –
teilweise bewusst,
teilweise
unbe-
wusst – Formulie-
rungen verwen-
det, die etwas
anderes ausdrü-
cken als zunächst
ersichtlich.
„Er hat die ihm übertragenen Aufgaben …
• stets zu unserer vollsten Zufriedenheit
= Note 1
• zu unserer vollsten Zufriedenheit
= Note 1,5
• stets zu unserer vollen Zufriedenheit
= Note 2
• zu unserer Zufriedenheit
= Note 2,5
• stets zu unserer Zufriedenheit
= Note 3
• zu unserer Zufriedenheit
= Note 4
• insgesamt zufriedenstellend
= Note 5
… erledigt“.
Ähnliche Schemata sind auch z. B. für die
Verhaltensbeurteilung zu finden. Beschreibt
der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer z. B.
als engagiert für die Interessen der Kolle-
gen, meint er häufig, dass es sich um ein
Mitglied des Betriebsrates handelt.
Zeugnissprache am Beispiel eines
aktuellen Urteils.
Ein aktuelles
Urteil des Bundesarbeitsgerichts
(BAG, Urteil v. 15.11.2011, 9 AZR
386/10) hat in der Fachpresse
Aufsehen erregt, zeigt es mal
wieder die Schwierigkeiten der
Zeugnissprache:
Der Kläger war in der Zeit vom
1. April 2004 bis zum 28.
Februar 2007 als Mitarbeiter
im „SAP Competence
Center“ der Beklagten
beschäftigt. Die
Beklagte erteilte
ihm unter dem
Beendigungsdatum
ein Zeugnis.
Dieses enthielt
auszugsweise
folgenden
Absatz:
Anspruch auf Zeugnis.
Nach § 109 Abs. 1
GewO hat der Arbeitnehmer bei Beendigung
des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein
schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis darf ge-
mäß § 109 Abs. 2 Satz 2 GewO keine Formu-
lierungen enthalten, die den Zweck haben,
eine andere als aus der äußeren Form oder
dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den
Arbeitnehmer zu treffen (Grundsatz der
Zeugnisklarheit).
Struktur eines arbeitsrechtlichen Zeug-
nisses.
Ein arbeitsrechtliches Zeugnis folgt
in der Regel einer strengen Struktur. Nach
der Einleitung werden der berufliche Werde-
gang im Unternehmen und die zuletzt aus-
geübte Tätigkeit des Arbeitnehmers be-
schrieben. Hierauf folgend wird die Leistung
des Arbeitnehmers beurteilt. Diese Leis-
tungsbeurteilung erfolgt in bis zu sieben
Schritten. Zunächst wird regelmäßig die
Leistungsbereitschaft und -befähigung
dargestellt. Hierauf folgen die besonderen
Fachkenntnisse, die Beurteilung der Ar-
beitsweise sowie des Arbeitserfolges. Gege-
benenfalls können anschließend besondere
Erfolge und die Führungsleistung beschrie-
ben werden. Abschließend folgt regelmäßig
ein zusammenfassendes Leistungsurteil.
Auf die Leistungsbeurteilung folgt die Beur-
teilung des internen und externen Verhal-
tens. Üblicherweise schließt das Zeugnis
mit einer Beendigungsformel sowie dem
Ausdruck des Bedauerns und einer Dankes-
formel.
Geheimcodes.
Wie bereits beschrieben, wer-
den Geheimcodes verwendet, um das wahre
Leistungsvermögen und das Verhalten des
Arbeitnehmers zu beurteilen. Ein sehr be-
kanntes Beispiel bildet hier das zusammen-
fassende Leistungsurteil des Arbeitneh-
mers: Bei der Leistungsbeurteilung werden
bestimmte Formulierungen einer Note
gleichgestellt: